Ist dir schon mal aufgefallen, dass es Personen gibt, über die du dich immer wieder ärgerst?
Zu dieser Person fallen dir hundert Gründe ein, wieso sie schrecklich ist und wann immer diese Person erwähnt wird, regst du dich auch lautstark über sie auf. 

Hast du mal beobachtet, wie es dir in solchen Momenten geht? Du wirst wütend. Du hängst dich an Situationen auf, die oft schon Jahre zurück liegen. “Aber xy hat damals und das geht doch nicht und wie kann man nur so sein – das ist SO UNFAIR!”
Kommt dir das bekannt vor?

Dann hast du dieser Person noch nicht verziehen. Vermutlich denkst du jetzt, dass diese Person das auch gar nicht verdient hat. Schließlich ist sie blöd. 

Aber ist dir einmal in den Sinn gekommen, dass es beim Verzeihen gar nicht mal um die andere Person geht – sondern um dich?

Du musst verzeihen, um zu heilen

Jeder von uns hat mindestens einen solchen Namen im Gepäck. Denk doch mal an diese Person, genau jetzt. Fühlst du, wie die Wut hochkocht? Wie sich Galle bildet, weil diese Person einfach nur so unglaublich schlecht und mies zu dir war?
Geht es dir damit jetzt gut? Fühlst du dich gut?

Oder geht es dir nicht eher schlecht, weil du wütend und verletzt bist?

Oft weigern wir uns, zu verzeihen, weil wir der Meinung sind, dass die andere Person das nicht verdient hat. Weil es sich anfühlt, als würden wir dieser Person Absolution erteilen und das ohne dass sie sich entschuldigt, oder auch nur eingesehen hat, dass sie einen Fehler gemacht hat.

Dabei geht es beim Akt des Verzeihens gar nicht darum, jemandem die Absolution zu erteilen. Genau genommen muss diese Person nicht mal wissen, dass wir ihr verziehen haben. Denn es geht nicht um sie oder ihn – es geht einzig und allein um dich. Um deine Gefühlswelt, die vom Ballast dieser Person befreit werden soll. Damit du freier Atmen kannst.

Ich zeige dir eine Übung, die ich seit Jahren benutze, um meine angestaute Abneigung, Wut und Enttäuschung über bestimmte Personen aus meinem Körper zu entlassen und wieder durchzuatmen.

Briefe an niemanden

Verzeihen lernen - Briefe an Niemanden

Ich schreibe Briefe. Diese Briefe schicke ich nicht ab, weil ich sie nur für mich schreibe. Wenn du möchtest, kannst du die Briefe danach sogar verbrennen (bitte Vorsicht mit Feuer) oder einfach in kleine Stücke reißen und wegwerfen.

Damit es funktioniert, ist es ganz wichtig, dass du dir einen Stift nimmst und auf Papier schreibst. Digital funktioniert es nicht, denn Reflexionsarbeit muss immer mit selbst geschriebenen Worten gemacht werden. Das zwingt dich, langsamer zu denken, dich besser zu konzentrieren und mehr zu dir zu kommen.

Erstellt sind die Briefe in ein paar einfachen Schritten. Bitte nimm dir dafür Zeit und Ruhe – aber schiebe es nicht aus “Zeitmangel” ewig vor dir her. Wie wäre es mit heute Abend? Mit Freitag Abend oder du blockst dir dafür einen Zeitraum am Wochenende? Es geht hier um dich selbst und du selbst bist wichtig – vergiss das nicht. 

Schritt 1 – Personen auflisten

Im ersten Schritt listest du alle Personen auf, die dir etwas angetan haben. Dabei gehst du einfach rein nach deinem Gefühl. Gib Gedanken wie “Ach, das war ja gar nicht so schlimm, da habe ich mich jetzt nur affig” oder ähnlichem keinen Raum. Wenn dir diese Person einfällt, dann ist da etwas und egal wie klein es dir erscheinen mag – offensichtlich stört es dich. Schreib jede Person auf, die dir einfällt, ohne deine Entscheidungen zu werten.

Schritt 2 – Was du mir angetan hast

Wenn deine Liste fertig ist, nimmst du dir die erste Person, schreibst ihren Namen auf ein neues Blatt und beginnst mit dem ersten Abschnitt. Schreibe alles auf, was diese Person dir angetan hat. Auch hier geht es nicht darum, was wahr oder falsch ist. Es geht allein um deine Sichtweise. Wenn du empfindest, dass Tat oder Aussage xy dich verletzt hat, dann schreib es auf. 
Ganz wichtig: Du schreibst die Person direkt an. “Du hast gesagt, dass xy und deswegen fühle ich mich schlecht.”
Schreib alles auf, was dir zu dieser Person einfällt. Was hat sie gesagt? Was hat sie gemacht? Was hat sie nicht gemacht, als sie was machen sollte?

Schritt 3 – Die Schuhe des anderen

Im zweiten Abschnitt wechselst du die Perspektive und schlüpfst in die Rolle der besagten Person. Hier lässt du deine eigenen Gefühle hinter dir und versetzt dich gedanklich in die andere Person hinein. Überlege dir, wieso diese Person das getan oder gesagt haben könnte. Könnte sie es vielleicht ganz anders gemeint haben, als du es in dem Moment aufgefasst hast? Könnte sie es gesagt haben, weil sie dich schützen wollte (unabhängig davon, ob die Worte klug gewählt waren)? Steckte dahinter wirklich eine böse Absicht, oder war der anderen Person gar nicht bewusst, dass sie dich verletzt? Könnte es Eifersucht oder Neid – vielleicht auch unterbewusst – gewesen sein?

Wichtig: In diesem Abschnitt gelten keine Aussagen wie “Die Person hat das gemacht, weil sie bescheuert ist”. Eine solche Aussage kommt aus deinem Ego. Dein Ego musst du für diesen Schritt aber hinter dir lassen und wirklich für einen Moment zu dieser anderen Person werden und ihre Sichtweise einnehmen.

Schritt 4 – Ich verzeihe dir

Wenn du alles aufgeschrieben hast, was dich verletzt hat und wütend macht und du anschließend die Perspektive gewechselt und die Situationen aus Sicht der anderen Person betrachtet hast, kommt der Wichtigste Schritt: Das Verzeihen.
Lasse eine Zeile frei und schreib folgenden Satz: “Ich verzeihe dir.”

An dieser Stelle musst du es ernst meinen. Wenn du das nicht kannst, wiederhole Schritt zwei und drei, denn dann ist da noch etwas, was du nicht aufgeschrieben hast oder du hast dich nicht komplett in diese andere Person hinein versetzt.

Jetzt lehne dich einen Moment zurück und lass das, was eben passiert ist, auf dich wirken. Fühlst du dich erleichtert, befreiter?
Vielleicht stellst du jetzt sogar fest, dass all diese Wut auf eine Person, die nicht mehr in deinem Leben ist, völlig unnötig war. Oder dass du jetzt, da du verziehen hast, die Chance da ist, auf diese Person (falls sie doch noch in deinem Leben ist) zuzugehen und ein ehrliches Gespräch zu suchen.

Gönne dir einen Moment der Ruhe und dann nimmst du dir die nächste Person vor, bis deine Liste abgearbeitet ist.

Die letzte Person

Die letzte Person auf deiner Liste ist nicht die letzte Person auf deiner Liste. Zumindest nicht auf der, die du geschrieben hast. Die letzte Person setze ich dir jetzt auf deine Liste: Du selbst.

Vielleicht bist du jetzt zurückgeschreckt, denn was sollst du selbst dir denn schon groß angetan haben? Wir selbst sind doch schon aus offensichtlichen Gründen immer auf unserer Seite, oder? 
Falsch. Denn da ist immer noch die Bitch. Die innere negative Stimme, die dir schadet

Wie oft hast du dir eingeredet, dass du etwas schlimmes, das passiert ist, verdient hast?
Wie oft hast du dir eingeredet, dass du nicht hübsch, klug oder gut genug bist?
Wie oft hast du etwas getan, was dir nicht gut tut, nur um anderen zu gefallen?
Wie oft hast du dich selbst vernachlässigt, um dich für andere aufzuopfern – oft sogar für Leute, die das nicht einmal wertschätzen?

Wir tun uns eine Menge Dinge an, oft ohne es richtig wahrzunehmen. Weil wir es schon immer getan haben, weil es normal für uns ist. Weil wir der Bitch hörig sind und es für völlig selbstverständlich halten, sowohl unser Mädchen, als auch unsere Diva zu unterdrücken.

Deshalb fordere ich dich auf, dich nach deiner Liste nochmal an einen letzten Brief zu setzen. Empfänger: Du selbst.
Gehe all die Schritte durch, die du auch für die anderen Personen gemacht hast.

  1. Was hat dein vergangenes Ich dir alles angetan?
  2. Warum könnte dein vergangenes Ich das gemacht haben? Welche Gründe hatte es dafür?
  3. Ich verzeihe dir. 

Schreibe auch hier im letzten Teil wieder Ich verzeihe dir, auch wenn es an dich selbst gerichtet ist. Denn du verzeihst nicht deinem jetzigen Ich. Du verzeihst deiner Vergangenheitsform – der, von der du dich gerade löst. Betrachte sie ruhig als eine andere Person. Denn du wirst gerade zu einer neuen.